Myrtax - Finger gegen Wein

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22. Lirthak 7345 Vierte Ära NL

Mitternacht

Myrtax

 

 

Dunkelheit lag vor dem runden Fenster rechts neben dem Bett. Oben am Himmel dräuten die Äste und Blätter des großen Baumes der Stadt Leysirith, leise trafen Tropfen auf seine Fensterbank und kaum vernehmlich hörte er Wasser über die Rinde des Baums in feinen Bächen laufen. Es hatte zur Abenddämmerung angefangen zu regnen und seitdem auch nicht mehr aufgehört.

Nun saß Myrtax hier, in seinem normalen Arbeitsgewand. Gewaschen, völlig sauber, die Haare trocken. Das Wasser in dem im Holz eingelassenen Becken war sauber und dampfte noch. Seine Füße waren nackt und rein, seine Schuhen standen neben dem Bett.

Myrtax wartete. Sein Herzschlag war beschleunigt und pochte ihm unangenehm in den Ohren und in den Händen, ließ sie zittern. Er war versucht, sein aktuelles Buch der Altvorderen zu lesen, da gab es einige interessante Anekdoten zu magischen Strömungen in der Erde, aber bisher war er nicht schlau daraus geworden. Jedenfalls nicht schlauer als vorher, da er nicht auf die Energieströme zugreifen konnte. Und das war auch sein größtes Problem, bisher hatte ihm keines der Bücher - gut, es waren jetzt nicht allzu viele - verraten können, wie man feststellt, ob ein Individuum Magie beherrschen konnte und ob es erlernbar war.

Dies war aber nicht sein größtes Problem. Nach der Zerstörung des sechs Jahre alten Blutweins der Hermon-Blutsklavin hatten ihn die vier Vampire so kalt wie nie angeschaut und die Herrin Rovinna schien sogar noch wütender zu sein als sonst. Myrtax konnte sich kaum ausmalen, was das für eine Bestrafung nach sich ziehen würde.

Und eine Bestrafung würde es geben. Sogar für zerdrückte Äpfel gab es harsche Worte und manchmal Schläge, aber Blutwein war eine völlig andere Größe. Eine andere Art von Zucht, von Pflege und Aufwand. Von den Kosten ganz zu schweigen. Wie viele Barren Gold war ein Blutwein dieser Güteklasse wert? Myrtax wusste es nicht zu sagen. Weniger als eine Blutlinie in der Klasse von Huria, aber deutlich mehr als ein menschlicher Sklave ohne Fandaloré. Ein paar Hundert Silberbarren über die letzten Jahre mindestens.

Myrtax stand auf und ging zum Fenster. Nicht, dass es draußen etwas interessantes zu sehen gäbe, Regenschauer trübten die Sicht und in der Dunkelheit der Nacht waren keine Sterne zu sehen, nur bleigraue Wolken zwischen den dunklen Blättern. Die Feuer um die Stadt und das Anwesen herum waren auch erloschen und würden erst einmal nicht wieder entfacht werden.

Nun wartete Myrtax auf seine Bestrafung. Eigentlich hatte er erwartet, dass sie ihn sofort ausweiden oder auspeitschen würden, aber nichts dergleichen war passiert. Das Fest ging weiter, der Blutwein wurde verköstigt, die Vampire unterhielten sich, schlossen Pakte und verschwanden dann zu und in den Sitzkissen, um mehr oder weniger bekleidet weitere Annehmlichkeiten und sich selbst in vollen Zügen zu genießen.

Erst, als die Sonne aufging und die Vampire sich ankleideten, bevor sie in die Gästezimmer des Anwesens verschwanden. Myrtax und die anderen Sklaven und Diener säuberten den Hof, trugen Stühle und Tische weg, verstauten Tücher und Kissen, halfen den Küchengehilfen beim Abwasch und nur wenige Stunden später war der Hof sauber wie eh und je, sogar der dunkelrote Fleck des Blutweins war irgendwie verschwunden.

Der Sklave drehte sich halb um, als er schwere klimpernde Schritte auf dem Gang vor seiner Tür hörte. Niemand klopfte, die Tür wurde einfach aufgestoßen und eine Wache trat herein, zwei weitere Wachen standen mitsamt einer kalt wirkenden Marseille vor der Tür.

"Komm." Marseille machte nur eine krümmende Bewegung mit dem Zeigefinger. "Lass die Schuhe hier."

Myrtax schaute die Wache in seinem Zimmer an, kalte braune Augen schauten ihn an und irgendwie fand er die drei Wachen etwas zu viel. Er war doch nur ein ganz normaler Sklave, sogar eine Fondané im ersten Rang konnte ihn mit einer Handbewegung zur Seite wischen. Wozu dann direkt drei Wachen? Sollte es zeigen, wie ernst sie es meinten?

Seine Tür fiel knallend ins Schloss, Marseille ging direkt vor ihm, ihr geflochtener Zopf schwang sanft hin und her mit jeder Bewegung. Zwei Wachen flankierten ihn und die dritte Wache ging hinter ihm.

"Mal ehrlich", sprach er nervös, "warum denn gleich drei von euch?"

Niemand sagte ein Wort und Myrtax hatte auch nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet. Sie gingen in Stille die Treppen hoch, die zu den Gemächern von Simar und Rovinna führten. Interessanterweise hatte Myrtax noch nie den Raum gesehen, in dem der Rat der Sechs sich traf und auch noch nie den Ältesten gesehen.

Marseille klopfte oben an der Tür zum Gemach des Herrscherpaares an und Myrtax schluckte bei dem Gedanken. Sie waren keine Hohepriester, sondern Teil des Rats der Sechs und somit noch etwas schlimmer als die geistlichen Führer des Clans.

Zehn Herzschläge lang tat sich hinter der Tür nichts, dann hörte der Sklave ein gesprochenes Wort, aber es war zu dumpf, um es zu verstehen. Zumindest für ihn, denn Marseille drückte gegen die Tür und diese schwang auf. Ein kräftiger Stoß zwischen die Schulterblätter schob Myrtax nach vorne, ein weiterer Stoß warf ihn zu Boden und vor die gewaschenen schönen Füße der Herrin Rovinna, erkennbar an der roten Farbe ihrer lackierten Fußnägel. Der rote Saum ihrer Bekleidung schmeichelte ihrem Fußrücken mit sanf schwingenden Berührungen.

"Meine Herrin.", nuschelte Myrtax dem Boden zu, denn er traute sich nicht aufzustehen ohne Befehl. Jeder weitere Fehltritt konnte ihm den Tod bringen.

"Du weißt, warum du hier bist." Eine Feststellung, keine Frage, also nickte der Diener nur.

"Normalerweise würden wir dich jetzt einfach hinrichten lassen.", zischte die schöne Vampir-Frau, ließ den Menschen aber immer noch nicht aufstehen. Die getroffene Stelle schmerzte überraschend penetrant, seine Knie protestierten bereits gegen das harte Holz des Baumes.

"Ja, Herrin."

"Schön, dass du zustimmst." Rovinna lachte leise und Myrtax hörte Simar ein zustimmendes Geräusch machen. Also waren zumindest das Herrscherpaar und Marseille zugegen. War Jilal auch hier?

"Allerdings", fuhr die Vampirin fort, als die Tür leise ins Schloss fiel, "hat uns unser teurer Sohn Jilal darum gebeten, dich noch eine Weile zu behalten."

Myrtax hätte beinahe den Kopf gehoben und die Vampirin angeschaut, aber er konnte sich gerade noch so beherrschen. Jilal hatte sich für ihn eingesetzt? Wieso das? Für den Moment war Myrtax dem hochnäsigen Vampir dankbar, aber was kam danach? Da lauerte bestimmt irgendein perfider Plan dahinter.

"Aber du wirst sicher verstehen, dass wir deine kostspielige Verfehlung nicht einfach so hinnehmen können. Immerhin war es ein sechs Jahre alter Blutwein, der uns schon einiges an Silberbarren gekostet hat." Sie schnalzte mit der Zunge. "Hoch mit ihm."

Grobe Hände packten Myrtax, die mit Stahl besetzten Handschuhe der Wachen hoben ihn unsanft an und schnitten in seine Unterarme. Sein Kopf krachte mit Wucht auf den Tisch vor ihm, sein Oberkörper lag darauf. Der Sklave blinzelte, um gegen die Taubheit und den Schmerz in seinem Schädel anzukämpfen.

"Streckt seinen rechten Arm aus.", befahl Rovinna leise, etwas sirrte, als würde etwas aus einer Schutzhülle gezogen werden. Grob wurde sein rechter Arm gestreckt, sein Ellbogen krachte dabei und Myrtax stöhnte, als seine Muskeln schmerzhaft gedehnt wurden. Erst dann traute er sich, den Blick auf Rovinna zu richten.

Ihre Augen glühten rot, ihre rabenschwarzen Haare flossen wellengleich über ihren schlanken Rücken, ihr normalerweise leicht angebräuntes Gesicht war vor Wut fast weiß geworden. Eine Blutweinflasche von drei konnte diese schöne Frau so in Rage bringen?

Ihre Beine steckten in einer weiten Hose, die am oberen Saum mit einem schlanken Gürtel festgehalten wurde und war so rot wie Blutwein. Ihr Oberkörper wurde bedeckt von einer hellgrünen Bluse, welche mit goldenen Ranken bestickt war, welche die Nähte tarnten und dem Körper des Trägers schmeichelten. Rovinna schien dies durchaus so gewählt zu haben, denn ihre Brustwarzen stachen durch den Stoff und die Bluse bedeckte nur mäßig ihren Brustkorb und somit auch kaum ihren Busen.

Myrtax hatte allerdings kein Interesse an den Rundungen der Vampir-Frau, so oder so nicht. Sein Interesse galt der seltsamen Maschinerie, die vor der Frau auf dem Tisch stand. Sie hatte etwas von einer Entkorkmaschine, die er zwischenzeitlich in der Blutweinkelterei gesehen hatte. Oben hatte man einen Drehmechanismus angebracht, der auf einem hölzernen Querbalken lag und dünne Seile waren an Haken angebracht. Fünf auf Schienen laufende Ringe waren an der Basis angebracht und mit den Seilen verbunden, wie es schien. Lange Schrauben mit einem flügelartigen Kopf befanden sich an vier gegenüberliegenden Stellen an den Ringen.

"Hinein mit ihm.", summte Rovinna kalt. Die Wache rechts von Myrtax riss an seinem Arm und drückte seine Hand in das Gebilde, Rovinna zupfte an seinen Fingern und hielt den kleinen Finger fest, steckte ihn in den dafür vorgesehenen Ring. Myrtax wehrte sich, er wollte nicht in diesem Gerät stecken, aber die beiden Vampire waren weitaus stärker als er und das einzige, was er damit erreichte, waren weitere Muskelschmerzen im Arm.

"Hattest du gedacht, wir würden dich nur auspeitschen?", fragte Rovinna, als sie die erste geflügelte Schraube anfing zu drehen. Myrtax wollte antworten, aber heraus kam nur ein gepeinigtes Wimmern, als die spitze Schraube sich in seinen kleinen Finger bohrte, Blut trat aus der kleinen Wunde aus.

"Hattest du gedacht, eine Flasche Blutwein im Alter von sechs Jahren würden wir mit ein paar Peitschenhieben vergelten oder glühendem Eisen?" Rovinna beugte sich herab, ihr Grinsen war gehässig, böse, ein wenig lüstern. "Hattest du gehofft, Marseille würde dich bestrafen? Vielleicht sogar dir helfen oder dir den Anblick mit ihrem Körper versüßen?"

"Nein...Herrin...", keuchte Myrtax, versuchte zu Atem zu kommen und biss die Zähne zusammen, als die zweite Schraube sich in die andere Seite seines kleinen Fingers bohrte.

"Da hast du verdammt recht.", zischte Rovinna wieder und es hörte sich nicht schön an. "Los, drehen."

Die Wache ließ Myrtax nicht los, dafür trat Marseille an die Stelle des Geräts. Sie schaute erst den Menschen an und dann Rovinna, deren eiskalter Blick aus glutroten Augen genug aussagte.

Marseille fasste die Griffe des Drehgewindes und begann zu drehen. Quälend langsam schraubte sich das Gewinde herab und dann spürte Myrtax den Zug am Knochen. Erst war er nur sehr unangenehm mit kleinen Stichen, dann begannen aber die Sehnen sich zu spannen und ein Teil der Muskeln am Gelenk und der Schmerz steigerte sich so sehr, dass Myrtax begann zu keuchen und Schmerzenslaute von sich zu geben.

Im Nachhinein wusste Myrtax nicht mehr, was zuerst passierte. Ob die Muskeln am Gelenk rissen, die Sehnen oder ob das Gelenk heraussprang. Auf jeden Fall hörte er es mehr, als dass er es spürte; ein hohles Knacken und ein fleischiges Reißen beinahe zur gleichen Zeit.

Plötzlich fuhr aus dem hölzernen Querbalken eine schmale Klinge herab, durchtrennte Haut und Adern, löste mit einem schleimigen Schmatzen und einem metallischen Geräusch den Finger aus dem Gelenk und somit vom Körper. Myrtax schrie, als der Schmerz einsetzte und der Schock über das pulsierende Blut aus dem Stumpf einsetzte.

Marseille griff nach einem bereitliegenden Tuch und wickelte die blutende Hand von Myrtax sofort ein, damit sein Blut nicht überallhin spritzte oder sogar - mögen die Infernalé es behüten - die Herrin Rovinna trafen.

"Lass ihn hier.", raunte die Herrin, als Marseille nach dem Finger greifen wollte. Marseille verneigte sich, bugsierte Myrtax aus dem Gemach, der vor Schmerzenstränen kaum noch etwas sehen konnte, alles war verschwommen und seine Hand brannte, als hätte man sie mit Feuer behandelt. Jeder Schritt ließ Schmerzen durch seine Hand schießen und das doch recht dicke Tuch färbte sich durch blutige Blumen zusehens rot.

"Hier." Marseille stieß ihn unsanft in sein Zimmer zurück, auf dem Bett lag ein zusammengefaltetes großes Blatt. "Da drin ist Alkohol, Verbände, Nadel und Faden. Auch etwas gegen die Schmerzen. Behandle dich, morgen geht es wieder an die Arbeit."

Ihr verachtender Blick streifte Myrtax ein letztes Mal, bevor sie die Tür krachend ins Schloss fallen ließ. Der Sklave presste seine Hand an die Brust, stand mitten im Raum, halb blind vor Schmerz und Tränen.

Und das alles für einen einzigen jungen Blutwein? Er wischte sich über die Augen, entfaltete das Blatt, bevor er sich mit dem Inhalt behandelte. Zuerst die Wunde und besonders die Wundränder mit dem Alkohol desinfizieren, was ihn beinahe ohnmächtig werden ließ. Dann vernähen, was ihm nur leidlich gelang und ihm den Schweiß über den Körper rinnen ließ, da er mehrfach Pause machen musste.

Zum Schluss ein in Alkohol getränkter Verband, der zwar brannte wie flüssiges Feuer, aber die gröbste Entzündung würde abhalten können. Bevor der junge, nun neunfingrige, Sklave auch nur an die Schmerzmittel denken konnte, holten ihn Schock und Erschöpfung ein.

Hoffentlich hatten die Altvorderen einen Zauber, mit dem man Gliedmaßen nachwachsen lassen konnte.

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